// 25. November 2019 //

Fernwanderweg führt Projektbeteiligte in den Bezirk Klattau

Beim „Gunthersteig“ handelt es sich um einen der prägenden historischen Besiedelungswanderwege Bayerns und Böhmens. Auf den Spuren des als Volksheiligen verehrten „Rodungsmönchs“ verläuft dieser von Niederalteich über Lalling und Rinchnach bis zum Grenzübergang Gsenget. In Tschechien sind die Partner des gleichnamigen neuen INTERREG-Projekts – vornehmlich der Kreis Pilsen und die Stadt Hartmanice – derzeit dabei, Gunthers Wege von Dobrá Voda bis nach Blatná nachzuzeichnen und mit historischen wie spirituellen Sehenswürdigkeiten anzureichern. Um sich vor Ort einen Eindruck von dem aufgewerteten Pilgerprogramm zu verschaffen, traten Vertreter des Landkreises Deggendorf, des Kulturvereins Niederalteich und des Fördervereins Bauernhausmuseum Lindberg am Donnerstag, den 21. November 2019, ihre Reise in den Böhmerwald an. Mit dabei waren auch Simona Fink, Elisabeth Unnasch und Miriam Lange vom „Sekretariat für grenzüberschreitendes Netzwerkmanagement im Themenbereich Kultur und Tourismus“ sowie Susanne Wagner, Tourismus-Referentin der Kreisentwicklungsgesellschaft ARBERLAND REGio GmbH, die Projektträger auf deutscher Seite ist.

Nach einer kurzen Begrüßung fanden sich die Workshopteilnehmer im Böhmerwaldmuseum Sušice wieder. Dieses liegt direkt am Stadtplatz in einem Renaissance-Bürgerhaus mit gotischem Kern aus dem 15. Jahrhundert. Das Museum versammelt archäologische Funde aus der Stadtgeschichte und ihres Umkreises, eine Böhmerwaldglas-Ausstellung, den sogenannten „Zinnschatz von Sušice“, die Kapuzinerbibliothek, die einzigartige Glassammlung Bruno Schreibers, eine gewaltige mechanische Weihnachtskrippe und auch die örtliche Zündholzproduktion zu Zeiten der K&K-Monarchie ist mit viel Liebe zum Detail dargestellt.

Unweit von Sušice, auf dem Gipfel des Berges Stáž, steht eine von den Anwohnern umgangssprachlich „Andělíček“, also „Engelchen“, genannte Kapelle. Sie wurde 1682 von Kapuzinermönchen als Pilgerstätte erbaut. 1735 erhielt sie neben den Kreuzgängen vier Eck-Kapellen zu Ehren der Hl. Mutter Gottes, des Hl. Nepomuk, des Hl. Florian und der Hl. Maria Magdalena. 1882 fand anlässlich des 200. Gründungsjubiläums ein Umbau im pseudoromanischen Stil statt. Das heutige Aussehen ist ein Werk des Schüttenhofener Baumeisters Karel Houra. 1908 hatten über 10.000 Menschen die „Schutzengel-Kapelle“ besucht. Nach den beiden Weltkriegen sah sie kaum noch Wallfahrten. Das möchten die „Gunthersteig“-Beteiligten nun ändern.

Hoch über der Gemeinde Hartmanice liegt Dobrá Voda, wo die Barockkirche St. Gunther mit ihrer Heilquelle von jeher ein beliebtes Pilgerziel ist. Heute gilt sie dank ihres Waldglas-Altars als einzigartig in ganz Europa. Von besonderem Interesse für die Workshop-Teilnehmer war darüber hinaus das Dr.-Šimon-Adler-Museum. Dieses wurde 1997 im Gedenken an 110 Judengemeinschaften eröffnet, die zu Zeiten des Holocausts in Westböhmen verschwanden. Nach Dobrá Voda, wo jahrzehntelang drei ethnische Gruppen – Tschechen, Deutsche und Juden – gemeinsam gelebt hatten, kehren seit 1989 die ursprünglichen Einwohner zurück – so auch  Šimon Adlers Sohn Matityahu, der gemeinsam mit seinem Bruder, Rabbiner Sinaj Adler, die Entstehung des Museums veranlasste. Diese Zusammenführung sei ganz im Sinne des „Brückenbauers“ Gunther, der Christen unterschiedlicher Konfessionen und Juden gleichermaßen berührt hat.

Nächstes Ziel war die Kirche St. Maurenzen, die oberhalb der Ortschaften Rajsko und Annín auf einem von der Otava umflossenen Bergvorsprung liegt. Sie gilt als älteste Kirche des Böhmerwaldes und soll direkt auf den Hl. Gunther zurückgehen, der nur wenige Kilometer westlich am Gunthersberg als Einsiedler lebte. Der heutige Kirchenbau wurde um 1230 errichtet und dem Hl. Mauritius geweiht. Enge Beziehungen bestanden zum Benediktinerkloster Niederalteich. Bis zur Vertreibung der deutschen Böhmerwäldler war St. Maurenzen die Pfarrkirche für die umliegenden Dörfer und Weiler. Nach 1946 gab man sie dem Verfall preis. Seit 1991 wurde das Baudenkmal auf Initiative eines deutschen Förderkreises in Zusammenarbeit mit tschechischen Firmen restauriert. Seither ist sie eine grenzüberschreitende Begegnungsstätte mit regelmäßigen zweisprachigen Gottesdiensten.

Nächste Station war die profanierte Synagoge von Hartmanice. Von 1883 bis 1938 hatte sie der ansässigen jüdischen Gemeinde als Gotteshaus gedient. Nach der Angliederung an das Deutsche Reich wurde sie im Oktober 1938 beschlagnahmt und zum Tischlereibetrieb umfunktioniert. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Gebäude weiter als Produktionsstätte und später als Reifenlager der tschechoslowakischen Armee. 2002 gründete sich eine Bürgerinitiative, deren Ziel der Erhalt der Synagoge und ihre Nutzung als Ausstellungsstätte war. Nach Abschluss der Renovierungsarbeiten konnte sie im Mai 2006 feierlich eröffnet werden.

Zuletzt besichtigte die Delegation in Rabí, etwa zehn Kilometer nordöstlich von Sušice, eine der mächtigsten Burgruinen Tschechiens. Anfang des 14. Jahrhunderts wurde sie auf einem Kalkfelsen über der Otava erbaut. Ihre Mauern haben eine Gesamtlänge von drei Kilometern. Nach dem Dreißigjährigen Krieg verfiel die Burg und die Bewohner der umliegenden Dörfer verwendeten die Mauerstücke zum Häuserbau. Mit den Restaurierungsarbeiten begann man erst nach 1920. 1978 wurde die Burgruine zum nationalen Kulturdenkmal erklärt. Der aufsehende, in den Felsen gemeißelte Brunnen im ersten Burghof trägt Gunthers Namen.

Kerngedanke des „Gunthersteig“-Projekts ist die Neufokussierung und Attraktivierung des  jahrhundertealten Pilgerweges. Er soll dem gesellschaftlichen Wandel von der Erlebnis- hin zur Sinngesellschaft Rechnung tragen und Gunthers Botschaft von Völkerverständigung und Nächstenliebe erlebbar machen. Zugleich wollen die Projektbeteiligten den Bayerischen und Böhmerwald einer ganz neuen touristischen Zielgruppe näherbringen. Die Tschechen seien, so waren sich alle Teilnehmer einig, auf dem allerbesten Weg, diese Ziele zu erreichen.